Home » Rezensionen » Sicario – Drogen, Moral und verschobene Grenzen
4. Februar 2016von Martin Sowa
RedakteurDie Aufnahme in eine Sondereinheit ist für die junge FBI-Agentin Kate Macer die Chance, endlich Erfolge im ewig schwelenden Drogenkrieg zwischen den USA und Mexiko zu erringen. Allerdings ist die Realität im umkämpften Grenzgebiet ganz anders als erwartet…
Kate Macer (Emily Blunt) ist FBI-Agentin, ihr Spezialgebiet ist die Suche nach und Rettung von Geiseln. Im Zuge eines Einsatzes in Arizona gerät sie dabei in den Drogenkrieg, der das Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko überzieht. Im Versteck eines Kartells machen Macer und ihr Team einen grausamen Fund, der die brutalen Verbrechen der Drogenbosse verdeutlicht. Durch diesen Einsatz wird auch eine Sondereinheit unter Führung des stets zu einem flotten Spruch aufgelegten Geheimagenten Matt Graver (Josh Brolin) auf die junge Agentin aufmerksam, die sie schließlich für ihren Kampf gegen die mexikanischen Kartelle rekrutieren. Zunächst ist Kate, getrieben vom Wunsch, die skrupellosen Verbrecherbanden zur Strecke zu bringen, sofort bereit, an der Mission teilzunehmen. Doch schnell wird ihr klar, dass Graver nicht die ganze Wahrheit gesagt hat.
Denn anstatt Tucson lautet ihr erstes Ziel Juárez, die mexikanische Grenzstadt mit hoher Mordrate. Auf dem Weg dorthin stößt auch ein mysteriöser Mann namens Alejandro (Benicio del Toro) zu Kate und Graver, der ebenso unnahbar wie erfahren wirkt. An seiner Seite wird Kate Teil der minutiös geplanten Einsätze der Sondereinheit, die ihr mit jedem Mal mehr das Gefühl geben, dass sie gar nicht mehr die Rolle spielt, die ihr bei ihrer Rekrutierung angeblich zugedacht war. Und auch ihre Vorstellung davon, wie Gut und Böse voneinander zu unterscheiden sind, gerät mit jedem Schritt weiter ins Wanken.
Wenn ein Film den Drogenkrieg im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko zum Thema hat, sollte man auf die Darstellung von Gewalt und Brutalität vorbereitet sein. So auch in Sicario. Allein das Wort selbst (ursprünglich in der Provinz Judäa als „Sicarius“ für Auftragskiller verwendet, die römische Besatzungssoldaten ermorden sollten) hat eine Menge Gewicht in der spanischen Sprache und genügt, um Angst und Beklemmung heraufzubeschwören. Mit diesem Titel und der Eröffnungsszene stellt stellt Regisseur Denis Villeneuve („Enemy“, „Prisoners“) gleich zu Beginn des Films klar, wohin die Reise durch Arizona und Mexiko geht. Zwar werden die skrupellosen Machenschaften nicht explizit inszeniert (daher auch die Freigabe ab 16 Jahren), allerdings genügen die subtil präsentierten Ergebnisse der Exzesse absolut, um Zartbesaitete gleich mal heftig zusammenzucken zu lassen. So sind die ersten zehn Minuten direkt ein guter Wegweiser, ob man für den Rest des Thrillers gewappnet ist.
Allerdings ist Sicario keineswegs ein Ballerfilm mit pausenlosem Gemetzel. Mitunter bekommt die Handlung sogar fast dokumentarische Züge, wenn die Einsätze der Drogenfahnder hautnah und sehr ausführlich begleitet werden. Besonders beeindruckend sind dabei die interessanten Kameraperspektiven, mit denen es gelingt, dem Zuschauer das Gefühl des Außenstehenden zu nehmen. Fast zwingend logisch, dass Kameramann Roger Deakins für diese Arbeit eine Oscar-Nominierung erhalten hat. Warum es für Sicario nicht zu einer Nominierung für den „Besten Film“ gereicht hat, weiß (neben den Kollegen der Zeit (Vorsicht, dort gibt es relevante Spoiler!)) wohl nur die Academy – aber die hat ja momentan ganz andere Probleme…
Wie die Faust aufs Auge
Verdient hätte Sicario es jedenfalls, denn was Villeneuve mit seinem Team und den Hauptdarstellern Emily Blunt, Josh Brolin und Benicio del Toro hier auf die Beine gestellt hat, ist mitreißend, verstörend und beeindruckend zugleich. Golden-Globe-Gewinnerin Blunt („Fast verheiratet“, „Looper“, „Lachsfischen im Jemen“) hat sich bereits gleichermaßen in Komödie, Actionfilmen und Dramen beweisen können, in Sicario zeigt sie eine sehr neue Seite ihres Talents. Einerseits ist sie die knallharte Agentin, die Kleidung und Aussehen möglichst praktisch gestaltet, andererseits die junge Frau, die nach einer gescheiterten Ehe und ihr nun erschüttertes Weltbild stark verunsichert ist. Trotzdem gelingt es Blunt, die Figur der Kate gegen ihre männlichen Kollegen bestehen zu lassen (ja, das erinnert an „Zero Dark Thirty“). Insbesondere Matt Graver ist der idealistischen FBI-Agentin gegenüber immer wieder zu Zugeständnissen bereit. Zu dem selbst im größten Chaos stets cool und lässig agierenden „Bad Ass“ passt die Besetzung durch Josh Brolin („Everest“, „Milk“, „No Country for Old Men“) wie die Faust aufs Auge (die Metapher ist übrigens kein Zufall…). Mit seinen 47 Jahren nimmt man Brolin sofort ab, dass der von ihm verkörperte Graver genug Erfahrung hat, um selbst in Schießereien einen kühlen Kopf zu bewahren. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Graver Soldat durch und durch ist. Das bringt ihn dazu, jede Situation ständig abzuwägen und immer genau die Lösung zu wählen, die ihn dem Missionsziel möglichst effizient näherbringt.
An seiner Seite hat der wortkarge Alejandro Gillick Mitspracherecht, wenn es um Entscheidungen geht. Vor allem in Mexiko führt der emotionslose Gegenpart zum ständig Sprüche klopfenden Graver häufiger Gespräche, nicht zuletzt natürlich, weil er besser Spanisch spricht als der US-Amerikaner Graver. Logisch also, dass die Rolle mit einem Muttersprachler besetzt wurde und es überrascht nicht, dass Oscar-Gewinner Benicio del Toro bereits während der Entstehung des Drehbuchs für diese Rolle angedacht war. Eine bessere Besetzung hätte es auch gar nicht geben können, was übrigens auch für die kleineren Rollen gilt. So tauchen mit Jon Bernthal ( „Herz aus Stahl“) und Jeffrey Donovan („J. Edgar“) gleich zwei Schauspieler als Nebendarsteller auf, die sich zunächst vor allem durch ihre Auftritte in TV-Serien einen Namen machten. Bernthal war von Anfang an Teil der Serie „The Walking Dead“ (und tritt demnächst als „Punisher“ in Erscheinung), während Donovan sogar als Hauptdarsteller in „Burn Notice“ auftrat – übrigens auch hier als (ehemaliger) Geheimagent.
Neben dem hervorragenden Cast und der Kameraführung tragen auch Filmmusik und Tonschnitt entscheidend zur nahezu perfekten Atmosphäre von Sicario bei. Auch dafür gab es übrigens Oscar-Nominierungen. Beim Ton fällt dabei vor allem auch der dokumentarische Aspekt auf, wenn Dialoge wie heimlich belauscht inszeniert werden. Die Filmmusik von Jóhann Jóhannsson ist hingegen sehr zentraler Bestandteil sämtlicher Actionszenen und schürt gekonnt die Spannung während des oft ausführlichen Aufbaus der Szenen. Das gilt ebenfalls für die Soundeffekte wie Schüsse oder Explosionen und ganz besonders für den herannahenden Helikopter, der sich akustisch schon lange erahnen lässt, bevor er plötzlich ins Bild fliegt – sehr realistisch und perfektes Futter für die Surround-Anlage. Den beiden Dolby-Atmos-Tonspuren (Deutsch und Englisch) sei Dank! Lobend zu erwähnen ist auch die deutsche Synchronisierung, die sich vor der Originalfassung nicht verstecken muss.
Ebenfalls nahezu perfekt ist in weiten Teilen auch das Bild der Blu-ray, das in Schärfe und Detailreichtum keine Wünsche offen lässt und die Atmosphäre der jeweiligen Szene gekonnt unterstützt. In einigen sehr wenigen dunklen Szenen schwächelt die Qualität zwar etwas, das lässt sich allerdings absolut verschmerzen und ist gemessen am normalen Standard hochwertiger Produktionen eigentlich gar keine Erwähnung wert – aber irgendwo wird man ja auch mal „meckern“ dürfen.
Das Bonusmaterial gibt nämlich überhaupt keinen Anlass zur Beschwerde, hier gibt es mit rund 50 Minuten auch noch jede Menge interessanter Extras zu sehen. Die Featurettes behandeln dabei die Inszenierung von Sicario („In die Finsternis eintreten: Das visuelle Design“), die Hauptfiguren („Blunt, Brolin, & Benicio: Die Darstellung der Charaktere“), den realen Hintergrund („Kampfzone: Der Hintergrund von Sicario“) und die Entstehung der schon lobend erwähnten Filmmusik („Takte aus der Wüste: Die Filmmusik“). Dazu gibt es noch zusätzliche Trailer, die bei Studiocanal immer einen Blick wert sind.
Fazit
Betrachtet man die Oscar-Nominierten für den besten Film, sucht man Sicario vergeblich. Warum? Keine Ahnung. Der Thriller gehört ohne Frage zu den besten Filmen des Jahres und dürfte unter den Thrillern mit unmittelbarem Bezug zum Drogenkrieg der USA der wohl am besten inszenierte sein. Eine packende und nicht unbedingt vorhersehbare Handlung, grandiose Schauspieler und perfektes Handwerk machen Sicario zum absoluten Muss für Filmfans.
„Sicario“ ist als DVD und Blu-ray im Vertrieb von Studiocanal erhältlich.
85 of 100
97 of 100
95 of 100
97 of 100
95 of 100
94 of 100
Genre
Action/Thriller
Laufzeit
ca. 121 Minuten
Altersfreigabe
ab 16 Jahren
Regie
Dennis Villeneuve
Cast
Emily Blunt, Benicio Del Toro, Josh Brolin, Victor Garber, Jon Bernthal, Jeffrey Donovan