Home » Rezensionen » Birdman – Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit
11. Juni 2015
von Roman Maier
Inhaber/Geschäftsführer
Riggan Thomson, einst gefeierter Hauptdarsteller der Birdman-Trilogie, will es noch einmal wissen. Diesmal am Broadway, was sich als schwieriges Unterfangen darstellt. Von Panikattacken und einer inneren Stimme geplagt, gerät der um Anerkennung ringende Altstar schnell an seine Grenzen.
Birdman – Superheld oder abgehalftert?
Im Kostüm des Actionhelden „Birdman“ eilte Riggan Thomson (Michael Keaton) einst von Erfolg zu Erfolg. Das war einmal, denn nachdem er die Hauptrolle in „Birdman 4“ ablehnt, geht es mit seiner Karriere steil bergab. Doch nicht nur im Job ist er am Tiefpunkt angelangt – auch privat läuft alles den Bach runter. Während ihm seine Ex-Frau ständig aufs Dach steigt und es mit seiner Freundin in die Brüche zu gehen scheint, entfernt sich auch Tochter Sam (Emma Stone) immer weiter von Riggan. Das alles nicht ohne Grund, denn als Ehemann, Partner und Vater hat er vollends versagt. Doch jetzt will der vormals gefeierte Superhelden-Mime an längst vergangene Erfolge anknüpfen. Er will Respekt und wieder zurück ins Rampenlicht. Um der Welt zu beweisen, dass er mehr ist als ein alternder Hollywood-Star, macht er sich an die ambitionierte Broadway-Inszenierung des Raymond-Carver-Stücks „What We Talk About When We Talk About Love“. Nicht ohne Grund, denn mehr als 20 Jahre zuvor war es jener Raymond Carver, der einen der ersten Theaterauftritte Thomsons besuchte und sich anschließend (mit einer Mitteilung auf einer Serviette) für die ehrliche Darstellung des damals noch unbekannten Protagonisten bedankte. Für Riggan seinerzeit Grund genug eine Karriere als Schauspieler zu starten und heute offensichtlicher Wink des Schicksals, alle Energie und sein gesamtes Vermögen in das neue Projekt zu stecken.
Zugleich jede Menge Arbeit, denn neben der Regie übernimmt der Altstar auch noch die Hauptrolle des Stückes. Lediglich dem eifrigen Produzenten, Manager und Riggans bestem Freund Brandon (Zach Galifianakis) ist es jetzt zu verdanken, dass die geplante Inszenierung nicht vollends im Chaos versinkt. Als die Vorpremiere durch den Ausfall eines der Hauptakteure zunächst zu platzen droht, sorgt das Engagement des Theaterstars Mike Shiner (Edward Norton) für neuen neuen Schwung an der Abendkasse und hohem Interesse bei der Presse. Alles scheint sich endlich zum Positiven zu wenden, doch jetzt entpuppt sich der vermeidliche Heilsbringer als tickende Zeitbombe, dessen Ausraster zunächst die erste Vorpremiere ruinieren. Als wäre das nicht genug, versucht er seine Ex-Freundin und Hauptdarstellerin Lesley (Naomi Watts) dann während der zweiten Vorpremiere auf der Bühne zum Sex zu drängen. Als Shiner in einem Interview schließlich noch behauptet, Raymond Carver hätte ihn vor Jahren inspiriert und damit die volle Aufmerksamkeit der Tageszeitungen auf sich zieht, gehen mit dem von Panikattacken und der inneren Stimme des „Birdman“ geplagten Riggan Thomson dann endgültig die Nerven durch.
Realität oder Fiktion?
Immer wieder stellt man sich diese Frage, denn in „Birdman“ gelingt es Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritus beides in nahezu perfekter Art scheinbar nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Kann Riggan Thomson tatsächlich fliegen, schweben oder Dinge nur mit der Kraft seiner Gedanken bewegen? In jedem anderen Film eine zentrale Frage, hier aber nur bedingt am Rande von Interesse. Hier ist es dagegen die zum Teil unerzählte Geschichte, die neugierig macht und das Auditorium mit dem Hauptprotagonisten mitfiebern lässt. Das Attribut „Mitfiebern“ ist längst keine hohle Phrase, denn dank der dynamischen Kamerafahrt – es scheint, als gäbe es keinen Schnitt – fühlt sich der Zuschauer jederzeit als passiver Teil der Handlung. Ein Werkzeug, dessen sich Alfred Hitchcock bereits 1948 in „Cocktail Für Eine Leiche“ bediente, das Alejandro Gonzalez Inarritus in „Birdman“ nun aber auf die Spitze treibt. Selbst Zeitsprünge werden scheinbar ohne Schnitt vorgenommen – mühelos. Eine grandiose Leistung, für die „Birdman“ zurecht einen seiner vier Oscars einheimste. Unterlegt werden die lebhaften Kamerafahrten dabei zumeist von eher unstrukturiert wirkenden Jazz-Drums, die den derzeitigen Gemütszustand der jeweiligen Personen symbolisieren und unterstreichen. Ein weiteres effektives Werkzeug, mit dem der Zuschauer noch tiefer in die Handlung gezogen – und bis zum Ende – nicht mehr losgelassen wird. Auch wenn der Schluss einige Fragen offen lässt …
Schauspieler am oberen Limit
Handwerklich ist der Film hervorragend gemacht. Dem stehen auch die schauspielerischen Leistungen der Hauptprotagonisten in nichts nach. Allen voran Michael Keaton (Beetlejuice, Batman, Sprachlos), der den von Selbstzweifeln und der inneren Stimme des Birdman gepeinigten Riggan Thomson in allen Facetten und jeder Lebenslage überzeugend darstellt. Mal melancholisch, mal panisch und dann wieder voller Elan wird die Hauptfigur so glaubhaft gespielt, dass der Zuschauer schnell Zuneigung für den alternden Hollywood-Star empfindet und mit jeder seiner Handlungen mitfiebert. Letztere erweisen sich übrigens als nur selten rational! Dass ausgerechnet Michael Keaton den ehemaligen Superhelden repräsentiert, ist Ironie des Schicksals, schließlich mimte Keaton mit „Batman“ einst selbst einen Superhelden, bevor er selbst für lange Zeit keine Hauptfigur mehr in einem der Top-Blockbuster angeboten bekam. Zu Unrecht, denn in Birdman – wahrscheinlich der Rolle seines Lebens – zeigt der inzwischen 64-jährige US-Amerikaner, dass er noch immer zu dem Top-Acts der Traumfabrik gehört. In diesen Kreis gehört zweifellos auch Edward Norton (Fight Club, American History X, Grand Budapest Hotel). Diesmal in seiner Nebenrolle als Mike Shiner, einem brillanten aber auch exzentrischen Theaterschauspieler, der von der ersten Sekunde an sein eigenes Ding durchzieht und sich von niemandem etwas sagen lässt. Dass er Riggan Thomson dabei immer wieder an den Rand der Verzweiflung führt und sich auch bei seinen Theaterkollegen alles andere als beliebt macht, scheint ihm egal. Kurz gesagt: Glaubhafter als durch Norton hätte die Rolle des exaltierten Egoisten, dem scheinbar alles egal ist, nicht dargestellt werden können. Zwei hervorstechende Akteure, die „Birdman“ ganz klar beherrschen. Und das, obwohl mit Zach Galifianakis (Hangover) – diesmal in einer ernsten Rolle, Naomi Watts (King Kong, Diana) und Emma Stone (Zombieland, The Amazing Spider-Man) weitere Schauspiel-Schwergewichte zum Set gehören.
Bild, Ton & Co
Bildtechnisch gehört „Birdman“ ebenfalls in die oberste Kategorie. Und das, obwohl Alejandro Gonzalez Inarritus es sich mit seiner „wilden Kamerafahrt“ nicht leicht gemacht hat. Sehr warm abgestimmt, brilliert der Film durch saubere aber keineswegs überzogen plastische Bilder. Ein ähnlich hohes Niveau bietet die Tonqualität (gesehen in deutscher Sprache, DTS-HD 5.1). Die jederzeit sehr gut verständlichen Dialoge werden von einer sauberen Effektkulisse unterlegt, die niemals übertrieben oder aufgesetzt wirkt. Überhaupt spielt sich die akustische Darstellung hauptsächlich im vorderen Bereich ab, wird aber vereinzelt durch schöne und unaufgeregte Einsätze der Rearkanäle unterstützt. Kleiner Tipp: Wenn Ihnen während des Filmes plötzlich das leise, unaufhörliche Ticken einer Uhr auffällt – das kommt tatsächlich aus den Lautsprechern. In Sachen Bonusmaterial fiel die Auswahl eher sparsam aus. Ein Blick hinter die Kulissen, ein paar Setfotografien und ein Interview mit Keaton und Inarritu. Das war es schon.
Fazit
Hervorragender Film, klasse Story und exzellente Schauspieler. So lässt sich meine Meinung zu „Birdman“ kurz und schmerzlos zusammen fassen. Ein handwerklich perfekt gemachter Streifen, dem es in vergleichsweise ruhiger Art gelingt das Publikum schnell zu fesseln und zugleich zum Nachdenken zu animieren. Vier Oscars kriegt man halt auch nicht umsonst. Einen davon für die packende Kameraführung, für die „Birdman“ allein schon im Regal jedes anspruchsvollen Filmsammlers stehen sollte. Mein Fazit: unbedingt angucken!
„Birdman“ ist als DVD und Blu-ray im Vertrieb von 20th Century Fox Home Entertainment erhältlich.
Originaltitel
Birdman
Genre
Drama-Komödie
Laufzeit
ca. 119 Minuten
Regie
Alejandro Gonzalez Inarritu
Cast
Michael Keaton, Edward Norton, Zach Galifianakis, Amy Ryan, Andrea Riseborough, Emma Stone
95 of 100
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