Home » Home Entertainm. » Das Tape kommt zurück: Mit dem Kassettendeck die Zeit zurückdrehen
12. Oktober 2023Kassettenspieler sind das neue Vinyl. Sie müssen nur wieder in Mode kommen und prestigeträchtig werden. Es gibt eine analoge Nostalgie, ein Ritual und sogar eine ganz eigene Euphorie, sobald man beispielsweise sein Technics Kassettendeck einschaltet und Musik vom Tape hört. Inzwischen kehren wieder einige Musikfreunde zur Kassetten zurück. Laut eigener Aussagen entdecken sie eine neue Welt, und die Musik fühlt sich viel wertiger an.

Auch wenn es viele nicht glauben mögen, die Kassette ist aktuell so populär wie ewig nicht mehr (Foto: unsplash.com/Jon Tyson).
„Es gibt einem dieses Gefühl für Nostalgie, wenn man das Medium in den Händen hält“, sagt Steve Stepp, Präsident einer der wenigen überlebenden Audiokassettenfirmen. Er hat nicht den Zorn eines Retro-Dinosauriers im Gesicht, sondern das zufriedene Lächeln eines erfolgreichen Investors. Während andere Fabriken auf CD-Produktion umstellten, kaufte Steve „veraltete“ Geräte zurück. Steve spricht über das stetige Wachstum seiner Firma. Der Umsatz steigt jedes Jahr um mehr als zehn Prozent. Um zu verstehen, woher die erneute Nachfrage nach Kassetten kommt, muss man beispielsweise lediglich den Beipackzettel mit Songtexten oder Fotos der Band auspacken. Solche Medieneditionen machen das Musikerlebnis zumindest vollständiger. Und Kassetten sind ausserdem schön in der Hand zu halten und im Regal zu präsentieren.
Jedes Hörerlebnis mit physischen Medien ist einzigartig. Analoge Ausgaben können nicht ohne Qualitätsverlust neu aufgezeichnet werden, und Tonbänder (oder Vinyl) haben eine begrenzte Lebensdauer. Je nach Abspielgerät kann es sich um hundert Anhörungen oder weniger handeln. Aber früher oder später wird die Kassette ihre eigenen Abnutzungserscheinungen und Artefakte aufweisen.
Die Geschichte der Audiokassette: Wie Philips die Welt der Musik veränderte
Die Technik der Tonaufnahme gibt es erst seit 150 Jahren. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts geriet jede musikalische Darbietung, jeder Gesang und jede Rede in Vergessenheit, wenn sie nicht auf Papier festgehalten wurde. Von der ersten Aufzeichnung der menschlichen Stimme bis hin zur Verbreitung von Musik und Online-Hören ist der Einfluss von Tonbandgeräten und Audiokassetten auf die Welt unübersehbar. Vor genau 60 Jahren fand auf der IFA (Internationale Funkausstellung Berlin) in Berlin eine Revolution statt, die die Audio-Welt völlig veränderte: 1963 stellte Philips die erste Audiokassette im bekannten Compact-Cassette-Format vor und damit auch den ersten tragbaren Audiokassettenspieler, den EL 3300. Die Kreation des niederländischen Ingenieurs Lou Ottens veränderte die Musikindustrie für immer. Nicht nur das – seine Kassetten wurden zu Beginn der Computerisierung als Speichermedium als Alternative zu Disketten verwendet. In den 1970er Jahren war die preiswerte und zuverlässige Audiokassette ein großer Erfolg: Junge Leute konnten nun problemlos Hits aus dem Radio aufnehmen und Mixtapes zusammenstellen. In den 1980er Jahren wurde die Kassette mit dem Aufkommen von tragbaren Taschenrekordern wie dem Sony Walkman noch populärer. Bis zum Aufkommen der CD und des digitalen MP3-Formats in den späten 1990er Jahren blieb die Audiokassette das vorherrschende Aufnahmemedium.
Warum jetzt Audiokassetten hören?
Seit Anfang der 2000er Jahre hat die Popularität dann abgenommen. Inzwischen hat sich der Prozess aber wieder umgekehrt: Die Beliebtheit des längst vergessenen Formats ist in den letzten zehn Jahren gestiegen und hat sich in dieser Zeit um das 50-fache erhöht. Zu Beginn dieses Jahres erreichte sie ihren Höhepunkt. Laut Statistik werden in London inzwischen 200.000 Kassetten pro Jahr verkauft. Experten zufolge ist der Anstieg auf die neuesten Veröffentlichungen zurückzuführen, z. B. Florence + the Machine und Arctic Monkeys. Sie bringen Kassettenversionen ihrer neuen Alben heraus, die meist von jungen Hörern gekauft werden. Das Epizentrum des modernen Kassettenfiebers lag in Kalifornien. Im Jahr 2007 gründeten Sean Borman und Lee Rickard Burger Records, eine Plattenfirma, die schnell zum Zentrum der lokalen unabhängigen Musikszene wurde. Sie haben es geschafft, über 1.000 Künstler und mehrere Festivals um sich zu scharen.
Green Day veröffentlicht auf Tape
Ursprünglich hatten sie beschlossen, ihre Musik auf Kassette zu veröffentlichen, weil es sonst niemand tat und weil es für aufstrebende Musiker und ihre Fans eine großartige und vor allem kostengünstige Möglichkeit war, Alben zu vertreiben und zu hören. Der Erfolg des unabhängigen Labels blieb nicht unbemerkt. 2015 traten die Jungs von Green Day an Burger Records heran, um das kultige Album „Dookie“ aus dem Jahr 1994 neu zu veröffentlichen. Nach einigen Jahren begannen die großen Musiklabels, nicht nur alte, sondern auch neue Veröffentlichungen beliebter Künstler wiederzuveröffentlichen. Justin Bieber, Eminem, Twenty One Pilots, Kanye West und andere begannen, auf Kassette angeboten zu werden. Die modernen Kassetten unterscheiden sich jedoch in einem wichtigen Punkt von den Tapes der fernen Vergangenheit: Die Neuveröffentlichungen der großen Musiker enthalten Codes zum Herunterladen der digitalen Versionen der Alben.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Musik von Kassette ein Prozess ist. Auswählen, ins Tapedeck einlegen, an Knöpfen und Schaltern drehen. Rollen drehen sich, das Band bewegt sich, Pfeile zeigen den Aufnahmepegel auf bernsteinfarbenen Displays an. Laut Lee Rickard, Mitbegründer von Burger Records, klingt und fühlt sich Musik, die auf Kassetten aufgenommen wurde, ganz anders an. Außerdem sind Audiokassetten kompakt, leicht zu sammeln, enthalten oft einzigartige Cover und kosten oft weniger als eine Tasse Kaffee. Ausserdem gibt es nichts Besseres, als seine Tapes direkt von aufstrebenden lokalen Musikern zu kaufen, um sie so maximal zu unterstützen.